Wenn’s um’s Wachsen geht, interessieren sich kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) weniger für die Weiterentwicklung von Strukturen und Prozessen als für unternehmerische Perspektiven. Also dafür, wie sich das eigene betriebliche Handeln absetzen lässt gegenüber der Konkurrenz – um anders, individuell, unverwech-selbar und dadurch erfolgreich zu sein. Ihnen geht es darum, wie das Unternehmen gestaltet werden kann, damit es nicht einfach nur immer weiter läuft, sondern damit die gestaltende Entwicklung den Betrieb auch weiter bringt: Hin zu „größer“, „besser“, „nützlicher“. Neudeutsch: Hin zu nachhaltigem Wachstum. Um dieses Ziel zu erreichen, beschäftigen sich wendige Mittelständler eingehend mit Alternativen und jonglieren mit Optionen.
Die Großen jonglieren natürlich auch, um zu expandieren – allerdings vor allem mit Benchmarks oder Kenn-zahlen, Entwicklungs-„Strategien“ und Verfahrensmodellen. Alle akademisch konzipiert, beglaubigt und gut dokumentiert.
Die Betriebswirtschaftslehre weiß, wie’s klappt mit dem Wachstum – nämlich qua Innovation. Unisono lautet die Empfehlung: Professionalisiert den Innovationsprozess! Und die Umsetzung dieses betrieblichen kategorischen Imperativs ist genau definiert. In den sogenannten „Innovationstrichter“ stopft man vorne erst einmal viele Ideen hinein; die dann in der Mitte des Trichters tüchtig „evaluiert“ und gefiltert werden; und hinten purzeln am Ende potenzielle Innovationen ’raus.
Innovationen lassen sich außerdem gruppieren und zuordnen, daher gibt’s auch eigene Typologien (welche Innovation soll’s denn sein …?). Oder „Innovations-Zielgruppen“, damit man festlegen kann, für wen man eigentlich innoviert (Innovatoren, Early Adopter, Early Majority …). Und damit dieser innovative Output trotz aller Normierung dennoch höchst individuell anmutet, werden die unternehmerischen Innovationen mit wechselnden Moden gekreuzt.
Zum Beispiel soll man derzeit unbedingt „radikal“ innovieren (und andernfalls doch lieber die Buchhaltung machen). Oder sich cool abgrenzen gegenüber der Bürokraten-Kreativität aus endlosen Powerpoint-Meetings. Die Maxime: Wenn die Innovation niemanden schockiert und keinen verärgert – „gefährlich“ ist – , ist sie gar keine. Der zentrale aktueller Hype aber ist „Open Innovation“: Dabei finden nicht nur interne, eigene Innova-tionsideen Berücksichtigung, sondern auch aufbauende Hinweise aus den Umfeldern des Unternehmens (Partizipation!): Von Kunden, Trendsettern, Marktforschungsprobanden oder aus der Start-up-Szene.
Das war’s dann aber auch. Die klassische Innovationslogik ist also nicht gerade hyperkomplex: Man variiert einige vordefinierte Stellschrauben, sorgt für einen hippen Anstrich und hofft das Beste. Diese Monokultur nervt inzwischen viele; insbesondere aber Unternehmer, die unternehmerisches Weiterentwickeln anders verstehen. Die seriöse Empfehlung „Es lebe der Innovationstrichter! (Aber bau dir unbedingt deinen eigenen …)“ verliert rasant an Überzeugungskraft.
Gegenüber dieser klassischen Sichtweise gerät allmählich ein anderer Wachstums- und Entwicklungsansatz in den Fokus: Die sogenannten „Binnenunternehmer“ könnten ein Trend werden. Unternehmer-im-Unternehmen: Intrapreneure.
Viele fassen dieses Thema allerdings recht simpel auf. War früher für wirtschaftlichen Fortschritt einzig und allein der Schumpetersche Gründer-Unternehmer verantwortlich, der Entrepreneur, der mit Ideen, Marktge-spür, Überzeugungskraft und dem Mut zur schöpferischen Zerstörung ausgestattet Neues auf die Beine stellte, wird dieser heroische Impetus heute – äußerst demokratisch – allen betrieblich Beteiligten abverlangt. Aus-nahmslos alle Mitarbeiter (gemäß „Open Innovation-Prozess“ aber auch: Kunden oder gar Unternehmens-fremde) sollen zum Intrapreneur werden, innovativ denken, handeln und das Unternehmen von innen heraus gestalten. Schöne neue Betriebswelt …
Diese erste Annäherungsweise ist zwar schlicht, aber nicht ergreifend gedacht. Denn gelernt hat „Intrapre-neurship“ niemand – und darum weiß auch keiner so genau, wie’s geht. Gelernt haben die meisten Innova-tionsmanager, strategischen Planer und Marketingfachleute vielmehr Innovation gemäß klassischer BWL. Und die optimiert zwar den Betrieb, verbessert auch den Entwicklungsprozess, lehrt aber kein Denken jenseits von Mittelwert, Branchenmehrheit und Norm. (Was nicht gegen die BWL spricht, gleichwohl aber eine ihrer Grenzen markiert.) Die meisten für Entwicklung zuständigen Mitarbeiter in Unternehmen sind bestens damit vertraut, wie ein Unternehmen den Durchschnitt – und auch mehr – schafft. Wie normgerechtes Mit-Wirtschaften funktioniert. Nur Intrapreneurship, die sieht anders aus.
„Binnenunternehmertum“, das wachstumsfördernde Entwicklungspfade auch neben dem Kerngeschäft kreiert und aktiv gestaltet, lässt sich nicht ’mal so eben für den jeweiligen Betrieb dekretieren und von allen einfor-dern. Dazu bedarf es einer anderen Vorgehensweise und andersartigen Haltung. Darauf verweist eine der wichtigsten Impulsgeberinnen dieser Szene, Saras Sarasvathy.
Die Kognitionswissenschaftlerin hat jahrzehntelang unterschiedliche Gründerkulturen erforscht: Wie Menschen Ideen entwickeln, wie sie Unternehmen aufbauen, welche Schritte sie gehen, was sie ver-meiden und vieles mehr. Aus ihren Ergebnissen hat sie zwei Gruppen abgeleitet: Winner und Looser – charakterisiert durch deren jeweils typische Vorge-hensweisen. Die Grundhaltung der Erfolgreichen gegenüber wachstumsfördernder Entwicklung war, dass diese die Gegenwart nicht lediglich ein kleines Stück in die Zukunft projizierten (also nicht Benchmarks und Kennzahlen einfach fortschrieben, „extrapolierten“), sondern die Zukunft schrittweise in die Gegenwart „herüberholten“, integrierten. Dafür muss man eine Vorstellung über sie allerdings erst mal haben.
Genau das zeichnet Intra-Preneure eigentlich aus: Sie versuchen, das noch vor uns liegende unternehmerische „Außen“ ins Unternehmen „hineinzuholen“ – um das Innere auf den Stand des Außen zu bringen. Um das Unternehmen mit Blick auf den Wandel in den Unternehmensumfeldern zeitgemäß zu halten. Dazu beschäf-tigen sie sich systematisch mit vor-uns-Liegendem – mit Hilfe von Trends, Szenarien, what-if-frames, fiktiven Produkt-Stories, der Projektion von Kundenbedürfnissen und Ähnlichem mehr.
Sarasvathys Perspektive fand Eingang in ganz unterschiedliche Unternehmensentwicklungskonzepte. Der am engsten mit ihrer Forschung verbundene heißt „Effectuation“. Ihre Grundgedanken spiegeln sich aber genauso im „Lean Start-up“-Ansatz, im „Blue-Ocean“-Konzept von Kim / Mauborgne, im „Business-Modelling“ à la Osterwalder / Pigneur oder auch in der „Obliquity“-Philosophie des britischen Ökonomen John Kay.
Dieses bunte Völkchen von Ideengebern eint ein harter Kern unternehmerischer Grundannahmen, der mit „Gründung“ im engeren Sinne kaum mehr etwas gemein hat, die typische Haltung erfolgreicher Gründer aber beibehält – und zwar auch dann, wenn das Unternehmen schon fest am Markt etabliert ist. Genau deshalb ist dieser Kontext für innovative KMU extrem interessant: Intrapreneure machen mit „Entrepreneurial Spirit“ auch etablierte und mittelgroße Unternehmen zukunftsfit.
Zusammenfassen lassen sich die Basispunkte zu einem
hier konzentriert auf mittelständischen Unternehmergeist:
Insbesondere der letzte Punkt provoziert natürlich die Frage: Geht denn das? Also: Wenn ein Betrieb einen Social-Web-Spezialisten sucht und sich „nur“ ein normaler Agentur-Mitarbeiter bewirbt – ist eine solche, forciert positive „Wertschätzung“ des Zufalls (nämlich den Agentur-Erfahrenen einzustellen) nicht schlicht: Kokolores?
Nicht unbedingt, antwortet der Intrapreneur. Denn Zukunft wird, um bei dem Beispiel zu bleiben, ganz wesent-lich durch spezielle Partnerschaften gestaltet. Und die gehen Menschen miteinander ein, die bereit sind, in ungewissen Situationen verbindlich eigene Mittel beizutragen, um neue Gelegenheiten zu schaffen. Die „Fach-kompetenz“ oder „Expertise“ solcher Partner ist dabei nur ein Aspekt unter vielen. Und wie Intrapreneure nicht müde werden zu betonen: In seiner Bedeutung ein häufig weit überschätzter. (In unserer Personalwirtschaft aber bekanntlich der zentrale – und nicht selten sogar der einzige.)
Fazit: Solche Einsichten sind der Stoff, aus dem Intrapreneurship gemacht ist – im Unternehmen am Unter-nehmen zu arbeiten. Und es mit „Entrepreneurial Spirit“ von innen heraus zu erneuern. Dabei geht es um so Unterschiedliches wie Strategiekritik und neue Taktik, um Erweiterungen des traditionellen Risikomanagements durch Methoden für Marktvorschauen, eine intensive Beschäftigung mit einzelnen Akteursgruppen, ein anderes Verständnis von unternehmerischer Kontrolle, oder auch – eines der spannendsten Felder – um neue Formen des unternehmerischen Lobbying. (Deutschlands Wirtschaft besteht bekanntlich zu etwa drei Vierteln aus KMU. Dass sich dieser Sachverhalt – nach einer Finanzkrise, die maßgeblich durch Großunternehmen mit verursacht wurde – in einer schlagkräftigen und öffentlichkeitswirksamen Interessenvertretung spiegeln würde, kann keiner behaupten.)
Binnenunternehmerisch Entwicklung zu gestalten und Wachstum zu erzeugen ist also kein „Ansatz“, eher eine offene Schule oder Richtung. Sie vereint heterogene Kulturen, Disziplinen und Methoden – neben wirtschafts-orientierten genauso psychologische, neurobiologische oder ingenieurstechnische. Und, in unserem Falle, zukunftsforscherische. In jedem Fall ist sie ein Pool an Innovationen zum Thema Innovation. Vielleicht ein Tipping Point für ein zukunftsfähigeres wirtschaftliches Denken als das heutige. Hungrigen kleinen und mittelgroßen Tigern auf dem Sprung jedenfalls wärmstens empfohlen!
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