Eine Mini-Psychoanalyse zum derzeitigen Job-Befinden offenbart eine scheinbar pathologische Haltung der Arbeitnehmenden und ist nicht recht zu erklären. Einerseits fühlen sich die Leute ziemlich sicher, was ihren Arbeitslatz betrifft, und rechnen nicht damit, ihn mittelfristig zu verlieren. 70% der Befragten einer aktuellen Studie machen sich nie, 21% selten Sorgen um einen möglichen Verlust. Der Indexwert ist sogar gestiegen – trotz Corona. Interessant; vielleicht ein Effekt stattlicher Stützungsmaßnahmen (Kurzarbeitergeld usw.)?
Andere Studien sagen anderes. Danach haben 6 von 10 aller 18-34-Jährigen innerlich gekündigt und sind auf dem Absprung: planen, binnen 12 Monaten den Job zu wechseln. Gallup diagnostiziert sogar – ohne Altersbegrenzung – bei jedem vierten Arbeitnehmer Abwanderungsbereitschaft. Wie passt das zusammen?
Mitten in der Pandemie schwappten über den Atlantik Horrormeldungen über eine Kündigungswelle in den USA herüber: Während Corona haben zahlreiche Arbeitnehmer* realisiert, in welchen Jobs sie eigentlich stecken und das Handtuch geworfen. Eine zeitlang hat man von dem Thema nichts mehr gehört. Nun attestieren Gallup und Personio: Die Wechselbereitschaft ist erstmals höher als in den USA. Drei Hauptgründe werden genannt: Karrierechancen, zu viel Stress und schlechte Führungskräfte.
97% aller Führungskräfte sagen von sich, dass sie einen guten Job machen. Auch das kam bei den Befragungen heraus, passt jedoch nicht zu den Befindlichkeiten der Arbeitnehmenden. An Stress während Corona und abnehmenden Karrieremöglichkeiten, wenn Hierarchien abgeflacht werden, ist so schnell nichts zu ändern – an der Qualität von Führungskräften schon. Wenn sich Menschen in ihrem Team wohlfühlen, wenn sie gesehen werden und das Gefühl haben, nicht egal zu sein, etwas zu bewirken, einen Beitrag zu leisten, der wahrgenommen wird, sehen sie über vieles hinweg.
Offensichtlich stimmen die Dinge auf der Beziehungs- und Bindungsebene nicht. Es scheint so, als ob die Leute weniger wegen Gehalt, Urlaub oder Jobprofil wechseln als vielmehr aus dem Frust heraus, etwas zu tun, das wenig interessiert, von dem sie nicht wissen, was es bringt, und ob das etwas mit ihrer Person oder nur mit einer besetzten Stelle zu tun hat, die –zig andere genauso übernehmen könnten.
Einmal mehr registrieren wir eine Fülle wissenschaftlicher Studien, die belegen, dass nahezu alle wirtschaftlichen Phänomene heute multifaktoriell und perspektivenabhängig sind. Studien, die in breitem Scan umsichtig und breit genug wären, um exakte Erklärungsangebote zu liefern, gibt es praktisch nicht – logisch, denn sie wären umfänglich und teuer.
Das erschwert kluge Diagnosen. Subjektiven Deutungen stehen wissenschaftlich Tür und Tor offen. Was für Unternehmen bedeutet: Das ernstnehmen, was empirisch validierbar ist. Hier: Achtet auf Karriereperspektiven. Achtet auf Arbeitsdichte und mögliche Überlastung – auch Überforderung und Unsicherheitsfrust wegen fehlender Perspektiven der Firma. Und: Macht Führung verbindlich, konkret und nahbar. Wer nicht wahrgenommen wird, geht. Auch logisch, denn wir haben Arbeitnehmermärkte.
Was denkst du?