Hat die Zukunftsforschung »Gesetze« oder Prinzipien, nach denen sie arbeitet? Und können die auch andere, etwa Führungskräfte oder allgemein die Unternehmen nutzen? Wir gehen das in loser Folge mal durch, und: Ja, so etwas gibt es! Alles ca. 100 Jahre alt, gut abgehangen also - und im europäischen Wirtschaftsalltag nahezu irrelevant (im Gegensatz zum pazifischen Wirtschaftsraum).
»VUCA« ist seit Jahren in aller Munde; einer der Hypes der Wirtschaftsdebatte, aber auch ein kryptisches Label. Die Welt sei volatil geworden, heißt es; ungewiss, c/komplex und mehrdeutig, ambiguös. Über diese praktische Zusammenfassung des aktuellen Kernproblems hinaus sagt VUCA aber nichts. Spannender wäre eigentlich etwas Anderes, nämlich eine (oder mehrere) Antwort(en) auf die Frage, wie wir diese Welt denn nun praktisch bewältigen können. Dazu kommt im Trend-Diskurs – wenig, um es vorsichtig zu formulieren.
Wissenschaftliche Zukunftsforschung wurde einst erfunden, um sich mit Musterbrüchen zu beschäftigen, mit Welten jenseits von Norm und Bekanntem, das ist ihre Existenzberechtigung. Was also hat sie anzubieten in Sachen VUCA? Nun, sie ergänzt – das ist alles. Sie nimmt zum Wissensbestand, wie wir ihn kennen, ein paar Dinge hinzu. Kleines Problem: Die sind meist extrem kontra-intuitiv.
Das »Gesetz« in diesem Beitrag ist ein Beispiel dafür. Normalerweise schauen wir uns ein befremdliches Phänomen, eine neue Sache genauer an, analysieren sie und versuchen zu verstehen, was da läuft. Dann haben wir das irgendwann begriffen (»aha, Naturgesetz X!«, »aha, China agiert so und so!«, »aha, die Inflation steigt, wenn a und b sich so und so verändern!« und so weiter). Wir durchdringen die Sache, erkennen, was wahr ist und legen das Ganze ab. Kapiert, danke.
In komplexen Umfeldern funktioniert das nicht mehr. Denn: Welche Sache – unter den unüberschaubar vielen, zusammenhängenden – sollte ich mir genauer ansehen? »Alle« geht nicht. Filterprinzipien sind unbekannt, Prioritäten ebenso. Nächstes Problem: Die Faktoren hängen alle miteinander zusammen bzw. voneinander ab. Soll heißen, dass die »Definition« der Sache mit Kontext und Bedingungen korreliert. Die Definition fängt also situativ an zu schwanken. Und: Sie verändert sich laufend.
Hier kommt die Zukunftsforschung ins Spiel; besser gesagt: Zeit. Denn diese Disziplin arbeitet zeitlogisch, nicht sachlogisch. Sie analysiert nicht, was ist (»die Sache funktioniert so und so«, quasi ewig, zeitlos), sondern wie etwas wird, wohin es sich entwickelt, auch, woher etwas kommt, oder wer sich was davon erhofft (das bestimmt nämlich häufig Geschwindigkeit oder Dynamik).
Unsere Maxime hier ist einschlägig für zukunftsforscherisches Planen. Ein simplifiziertes Modell davon in der Illustration.
Zeitmatrix
Um’s kurz zu halten: Das, was Sie in den Medien, im öffentlichen Diskurs und zumeist sogar aus den Wirtschaftswissenschaften in Sachen Zukunftsaussagen hören, sind Projektionen für Feld 6. Weiter kommen wir fast nie. Wir schauen uns das Morgen durch die Brille des Heute an und nehmen deshalb in der Zukunft logischerweise nur das wahr, was wir bereits kennen. Für Planung in einer ungewissen Welt: Nicht gut.
Wir feiern unseren Confirmation-Bias (Bestätigungsfehler, eine kognitive Verzerrung: »Man sieht nur, was man kennt«) und leiten schamlos aus dem, was wir wissen und kennen, ab, was kommt. Mit ein bisschen Abweichung natürlich – es gibt die stoische Optimismusfraktion, viele Dystopiker und die »Maß-und-Mitte«-Fans. Best Case, Worst Case, Middle Way. Letzterer vertreten dann häufig durch die Wissenschaft, die freilich auch nichts anderes praktiziert als die anderen: Sie schließt vom Heute auf’s Morgen.
Das ist auch gar nicht »schlimm«, solange Zukünfte unseren Gegenwarten ähnlich bleiben. Wenn das Morgen ungefähr so ist, wie das Heute (oder wie das Gestern war), ist die fortwährende Selbstbestätigung unserer aktuellen Sichtweise nicht weiter interessant oder gefährlich. Und: Genau das haben Menschen über Hunderttausende von Jahren erfolgreich praktiziert. Funktionierte bislang doch! Und dann sind auch Prognosen kein Problem.
Und hier nun kommt VUCA ins Spiel. Wenn die Welt transformativ wird, werden Zukünfte anders sein als unsere Gegenwarten. Zwischen Gegenwart und Zukunft überwiegen dann die Unterschiede, nicht mehr die Gemeinsamkeiten. Und wenn wir dann solide Zukunftsaussagen treffen wollen, brauchen wir das Niveau von Feld 8.
Nicht schwierig, oder?
Stets gute Sicht nach vorn!
Was denkst du?