REIHE DURCHBLICK: Sorgt Homeoffice für eine neue Arbeitskultur?

Über den weitgehenden Totalausfall der Expertenkultur zu nach-pandemischem Arbeiten

Worum geht’s?

Zur Zeit kursieren zahlreiche Umfragen zur Attraktivität von Büro- bzw. Präsenzarbeit versus Homeoffice, also Remote Work. Die Mehrheit der befragten Mitarbeiter* wünscht sich für die Zukunft ein hybrides Arbeiten (nur ein Beispiel unter vielen) – einen Mix aus Büroarbeit mit Kollegenkontakt einerseits und Konzentration zu Hause andererseits. Ist das nun eine Revolution, lediglich ein Baustein aus ihr oder gar nur ein vorübergehendes Modernisierungslüftchen? Wie radikal ist dieser Wandel?

Falsche Frage

Seine Hintergründe stehen eher nicht in Presse und Medien: Die Resonanz von den Führungsebenen ist sehr gemischt. Einige haben Angst vor schleichendem Kontrollverlust, andere machen sich Sorgen über die Qualität von Kommunikation und Informationsfluss, wieder andere fürchten um die Mitarbeiter*-Bindung. Und was sagen die Experten*? »Lernt, nonverbales Verhalten zu deuten! Professionalisiert eure Meetingformate und Kommunikations-Skills! Investiert in Vertrauen!« Diese Antworten sind nur leider keine auf die zentrale Frage, die nicht gestellt werden darf bzw. kann: »Ist es in meiner Organisation eigentlich klug und vorausschauend, mich als Führungskraft auf hybrides Arbeiten einzulassen?« Denn die hier Pate stehenden Sorgen und Unsicherheiten werden öffentlich nicht artikuliert, alles Tabus. Inwiefern – und worum geht es dabei? Zum Beispiel um

Gender-Roles. Manager, insbesondere Männer, haben die Dinge im Griff zu behalten, das ist ihr Job. Die Sorge, das gerade nicht zu haben, gehört nicht zur Job-Description. (Naive denken vielleicht, Agilität und Vertrauenskultur sollten derlei doch gerade abfedern. Irrtum: Die Objekte, die es im Griff zu behalten gilt, wechseln nur – das ist alles. Ab jetzt behalte Agilität und deine Vertrauenskultur im Griff, nicht mehr jeden Einzelnen und jedes Detail ihrer Tätigkeit. Das Muster bleibt, nur die Tools wechseln – und mit ihnen sollst du bitte sehr noch bessere Resultate erzielen.)

Kultur. Ohne soziale Offenheit und das, was andauernd eingefordert wird in den Organisation: Vertrauen zu schaffen und ein gutes Team-Klima, funktioniert gemeinsames Arbeiten nicht produktiv. Einige geben zu Protokoll, im eigenen Team sei das unter Corona sogar besser geworden: Man habe sich zusammengerauft, es seien neue Bindungen entstanden. Häufig gilt das jedoch nicht für die eigene Ebene, auf dem gleichen Level, seitwärts. Man macht den Mund nicht auf: Jeder grübelt für sich. Sich nur keine Blöße geben.

Fehlende Lernkurve, Unsicherheit. Wer hat schon vor der Pandemie mit seinen Mitarbeitern über sinnvolle Meeting-Agenden gesprochen, über das Redeverhalten im Team (wer wie lang redet, Moderationen, Reihenfolgen, Präferenzordnungen usw.), über Gemeinschaftsgefühl, Zusammenhalt, nonverbales Verhalten, die Wirkung einzelner Meeting-Details? Nicht jede Führungskraft fühlt sich mit Themen, die die Basis für jedes Vertrauen bilden, bereits wohl.

Fehlende Planungsgrundlagen – Angst vor der Zukunft. Ein Hot Spots aus der Schweige-Ecke.

  • Wie lange dauert die Pandemie noch? Führungskräfte wissen das selbst nicht.
  • Will ich die neue Hybrid-Kultur eigentlich? Oder nicht doch lieber schnellstmöglich eine Normalität zurück, die sicher ist i.S.v. einschätzbar, kalkulierbar?
  • Was hat die oberste Etage in Sachen Arbeitsweisen, Change, Strategie vor? Planen die überhaupt mit mir?
  • Lohnt es sich also, mich auf diese neue Situation einzulassen? Je nachdem, wie es bei uns strategisch weitergeht, würde ich das eventuell gar nicht mitgehen wollen. Erst mal möglichst unaufwändig mitmaggeln, Führen auf Sicht.

Und so weiter. Diese reflexive »Stillarbeit« ist vernünftig und situationsadäquat. Leider ist es aber auch genau dieses komplexe, vielschichtige Schwarze Tabu-Loch an Unklarheiten und nicht artikulierten Gefühlslagen, das uns gerade einsaugt. Dass hier von informierter Seite Licht hineingebracht würde, ist bislang nicht erkennbar; im Gegenteil. Unsere Experten kommen kaum zur Ruhe vor lauter Tipps und Tricks, wie hybride Arbeitskultur gut funktioniere. Reaktionsmuster: sich doof stellen. Fleißig mit am Tabu bauen. - Glaubt jemand, auf dieser Basis würde eine gesunde, nachhaltige hybride Arbeitskultur entstehen?

Schlussendlich: Was tun wir in dieser Situation?

Wir tun das, was wir immer tun, wenn's eng wird: Wir machen weiter mit dem, was wir nur können und gelernt haben, framen aber dessen Bedeutung um. Wir praktizieren das Gehabte, inklusive aller Tabus und Hintergrund-Sorgen – geben dem Ganzen aber wenigstens einen neuen Namen, deuten es irgendwie moderner. Aktuell: Ab jetzt alles »hybrid« (= 1-2 Tage Homeoffice), der Rest wie gehabt. Das ist dann #NewNormal. Und irgendwie stimmt es ja auch: Unser altes Normal bekommt einen geänderten Anwesenheitsplan verpasst, das ist neu.


Antwort auf die Beitragsfrage also: Nein. Natürlich nicht, wie sollte es. Konstruktive Gegenbeispiele hier. Wer sich für ein #BetterNormal interessiert: In 8 Min. als akustischer Crashkurs auf Youtube. Denn was in vielen Firmen hülfe, ist nicht die Seminarimpfe in nonverbalem Verhalten und Remote Leadership, sondern ein substanzielles Verstehen, was hybrides Arbeiten ursprünglich eigentlich sein wollte, erreichen sollte und aus welchen Erfordernissen es entsprang. Warum wir das Ganze überhaupt angezettelt haben. (Nicht wegen der Anwesenheitsliste.)


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