REIHE DURCHBLICK: Postpandemische Wirtschaft. Was kommt auf uns zu?

Worum geht's?

Um Remote Leadership, hybrides Arbeiten und Digitalisierung nicht. Wissenschaftliche Zukunftsforschung nimmt Anthropologie ernst: Krisen verändern Menschen. Uns interessiert, was in der Krise passiert ist, das das Morgen qualitativ verändern wird. Die Deutschen wollen das gerade nicht hören, sie sind müde, also nutzen sie »alte« Vor-Corona-Themen, um ihren Wissensdurst zu befriedigen (»Digitalisierung, Ökologie und mehr Gerechtigkeit: Jetzt erst recht!«). Zukunft als Leerstelle - reicht das?

Es ist insofern schon einmal ein Geistesblitz, als dass uns aufgefallen ist, dass ohne eine Modernisierung etwa des Gesundheitssystems (Digitalisierung) oder eine substanzielle Veränderung der industriellen Massentierhaltung (-> Wuhan, Ökologie) die Zukunft schwierig wird. Insofern ist der Mainstream-Chor nicht konkret »falsch«. Bloß ist dies der uninteressantere Teil.

Zwei Beispiele aus dem interessanten:

  1. »Impetus«: Geist, Herz, Mut. Wir müssen raus aus dem Pandemieloch. Hat jemand eine Idee, wie? Unsere Fachleute für derlei (aus den geistig-geistlichen Institutionen) haben jedenfalls keine. Der Bundespräsident stellte recht spät in der Pandemie für die Verstorbenen eine Kerze ins Fenster, immerhin. Der Rest, etwa in den Kirchen, war Schweigen (offenbar haben dort während der Pandemie alle Wittgenstein gelesen). – Was tun also die Menschen in einem immer größer werdenden, Sinn verschluckenden, öffentlich tabuisierten psychischen Vakuum? Sie fangen an, sich ihren eigenen Sinn zu bauen. – Ist das nun endlich der Durchbruch zu dem vielbeschworenen Neuen Denken, das gefühlt von jede*m in diesen Tagen eingefordert und beschwatzt wird? Leider nicht. Denn die Leute glauben inzwischen an alles Mögliche: Chemtrails, nachtaktive Echsen in Menschengestalt und sedierte „Schlafschafe“. So geht geistiger Niedergang – aber wer mag das aussprechen? Und wo sind unsere »Experten« plötzlich alle hin?
  2. Wir brauchen andere Institutionen. Gesundheitswirtschaftliche, zum Beispiel, das wurde offensichtlich. Aber auch in der Politik wachsen in der gesamten westlichen Welt die Zweifel an den Grundpfeilern des Systems, nicht nur rechts außen. Zwar gilt unzweifelhaft: Unser System hat im Prinzip gut funktioniert, in vielerlei Hinsicht. Demokratie hat es geschafft, diese schwierige Lage bisher leidlich gut zu meistern. Was wir aber auch – so deutlich wie nie zuvor – gesehen haben, sind die Schwach-stellen des Systems. Und die betreffen seit der Pandemie eben nicht mehr nur Repräsentationsprobleme, den Akademiker-Bias in hierarchischen Entscheidungspositionen oder zunehmende Ungleichheit, sondern ab jetzt auch globalisierungsbedingte Abhängigkeiten, die schnell real lebensgefährlich werden können (Masken, medizintechnische Geräte, Lieferketten–Problem usw.). Sie betreffen einen bestürzenden blinden Fleck in Bezug auf die Bereitschaft zur Generativität. Zur Sorge, zur Achtsamkeit und zum Schutz unserer Nachkommenschaft. Wie gehen wir mit Kindern um? Wie sichern wir das Band der Gattung – sichern wir es gerade überhaupt? Und falls ja: wie? Die systemischen Schwachstellen betreffen eine tiefgelegte, nahezu lethargische Gleichgültigkeit gegenüber zahlreichen Bedingungen des westlichen Lebensstils (von Bildung bis zu Pflege), usw. (Unser Blick auf die transformatorischen Erfordernisse der Politik hier.)

Falls jemand ein Themenportfolio entwickeln möchte unter der Überschrift »Welche Themen in einem pandemischen Wahlkampf in Deutschland nichts zu suchen haben«, hätten wir noch ein paar Vorschläge mehr. Bloß unter die Teppichkante damit.

Was kommt auf uns zu?

Solche Schwachstellen beseitigen, ganz einfach. Die Frage ist im Grunde banal und dumm, weil die Antwort jede*r kennt. Der Kaiser ist nackt, aber keiner sagt’s. Wollen wir die Postfaktizität weiter wachsen lassen, warten, bis die junge Generation sich vom System abwendet? Aus zukunftsforscherischer Sicht (die zeitlogisch arbeitet und anthroplogie-nah aufgestellt ist) sind die derzeit gesuchten Antworten kein Hexenwerk – so seltsam oder gar vermessen sich das anhören mag. Ändern können wir bloß nicht: Systeme, Strukturen, Prozesse, Bedingungen und Voraussetzungen - das ist elaborierter Code als Tarnanzug für Praxisvermeidung. Ändern können wir: Zugang, Perspektive, Sinnkorridor, Haltung, Präferenzen, Fokus. Zukunftsforscher arbeiten deshalb (zum Beispiel - das würde sonst diesen Beitrag sprengen) mit dem, was der Mainstream geradezu verbietet und was der Wahlkampf aus gutem Grund komplett tabuisierte: Wir antworten überhaupt nicht, sondern investieren viel Energie, um erst einmal die richtigen Fragen herauszubekommen. Und bereits an dieser Stelle sind die meisten schon wieder durch die Tür („oh je, das kann ja dauern. Ruf mich an, wenn sie fertig sind“). Deutschland produziert aus Tradition Antworten; bei Fragen stehen andere oben auf dem Treppchen. Unsere Legitimation dafür, die Deutsche für logisch halten, lautet: Bloß nicht »noch mehr« Fragen, wir haben doch schon genug! Und genau der Bumerang, der hier losfliegt, kommt nach Corona wieder auf uns zu.

Tja, liebe Zeitgenossinnen und Zeitgenossen, so geht geistige Arbeit. Anstrengend, zeitaufwändig, langsam. BWL ist schneller, KI noch schneller. Wir haben die Wahl. Bloß der alte Kalauer, man könne noch nicht wissen, was kommt, der funktioniert inzwischen definitiv nicht mehr, denn auch das ist logisch (freilich bereits die nächste Logik): Wenn ich nicht weiß, was überhaupt die adäquate Frage ist, sind meine Antwortstapel irrelevant. Aber wenigstens sind dank Stapelproduktion erst mal alle beschäftigt.

Crashkurs in Sachen Post-Corona-Wirtschaft am 14.2.22 online-live.

In 11.30 Min. dieser Beitrag auch auf Youtube


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