Resilienz als Rettung titelt gerade ein Weiterbildungsmagazin – die Ausgabe war nach wenigen Tagen ausverkauft. Logisch, könnte man meinen: In einer Welt, in der eine Krise die nächste jagt, »Permakrise« und »Störfallwirtschaft« die Runde machen, gehört die Frage, wie man all das einigermaßen heil und gesund übersteht, mit zum Wichtigsten der zeitgeistigen Agenda (vgl. unsere zweite These zu den "3 Prognosen zur künftigen Trenddebatte"). Gerade deshalb lohnt ein Blick auf die Erkenntnisse, die die aktuelle Diskussion vermittelt. Was wird verhandelt? Was sind die Schwerpunkte? Und was wird empfohlen? Drei Beobachtungen aus Zukunftsforschungssicht.
»Endlich echte Krisen!«, hört die Leserin aus so manchem Debattenbeitrag heraus. Reden wir nicht seit Jahren über mehr Agilität, Selbstorganisation, fortschreitende Vernetzung, Globalisierung, Digitalisierung und Klimawandel? Bräuchten wir nicht seit Dekaden mehr Vertrauen, stärkere kollektive Firmen-Identitäten, Zusammenhalt, Eigenverantwortung, Lernbereitschaft und Experimentierfreude? Die Permakrise macht's möglich. Und wer sich fragt: Wie?, ist bei Resilienz richtig. Pandemie und Krieg treiben Angst und Unsicherheit, also schauen alle auf die alten Themen und reinszenieren Mantras und altbekannte Buzzwords unter dem Motto der Resilienz: Jetzt erst recht! Mit Klosterfrau Melissengeist formuliert: Nie war sie so wertvoll wie heute.
Die traditionelle Manager*-Fraktion ›sourct‹ bekanntermaßen Coaching, Achtsamkeitsmeditation und Pausen-Yoga gerne ins Weiterbildungsprogramm ›out‹: Immerhin muss noch Umsatz generiert werden, auch, wenn qualitatives Wachstum zunehmend ein Thema wird. In unsicheren Zeiten wächst freilich die Bereitschaft, Grenzen aufzuweichen und zumindest zeitweise aus kommunikationspolitischen Gründen softere Töne zuzulassen. Wissen nicht längst alle, dass die psychische Belastung in mehreren gesellschaftlichen Gruppen dramatisch zugenommen hat? Ist die mentale Erschöpfung im Alltag nicht gefühlt bei fast jeder/m greifbar? »Nur die Harten komm’ in’ Garten« kommt da nicht mehr gut an, also wird der Tenor gewechselt. Was in Sachen Resilienz aktuell empfohlen wird:
Um nicht falsch verstanden zu werden: All das ist sicher nicht falsch - bloß in dieser Form wirtschaftsorganisatorisch praktisch nicht anschlussfähig. In welcher Weise sind diese (gut gemeinten) Reformvorschläge in Sachen Kommunikation, Verhalten und Gefühlsmanagement einflechtbar in Arbeitsorganisation und -weise? Kompakte, messbare und damit organisationalem Lernen überhaupt erst verfügbare Operationalisierungen zu »Paradoxien aushalten« oder »Offenheit einüben«: Fehlanzeige.
Die heißen Fragen von Resilienz sind die, die gar nicht erst gestellt werden (geschweige denn beantwortet). Und in den abstrakt-heruntergekühlten herrscht geistige Wellness (ein Charakteristikum der Zunft der Zukunftsdeuter seit Jahrzehnten). Wird die konkrete Handlungsdimension aber unterschlagen, bleibt kaum mehr als Management-Esoterik.
Das Thema ist grundsätzlich dazu geeignet, das vorherrschende Management-Weltbild in mehreren Hinsichten zu reformieren - unter der Voraussetzung, dass es an die markt- und strukturpolitischen Belange von Wirtschaftsorganisationen anschließt. Gegenwärtig geschieht etwas anderes: Der »Diskurs« positioniert sich mal wieder gegen den Mainstream als Checker-Debatte von jenen, die geistig verstanden haben. Psycho-Flankierungen »guten« Wirtschaftens sind seit jeher populär und finden ihre Zielgruppen – die betagteren unter unseren Lesern* erinnern sich noch an Helden der Szene wie Gerd Gerken, der in den 1990ern die wirtschaftliche Eso-Szene mit „Gesetzen der Labilität“, „die Wirtschaft ist eine Art Tanz“ und „Visionen als Aufgabe für eine echte Elite“ versorgte. Die Resilienz-Debatte hat beste Aussichten, in diese Fußstapfen zu treten. Wer sich digital und stimmungsmäßig erleuchten bzw. beim betrieblichen Socializing im Fahrstuhl punkten will, wird hier bedient.
Rückfrage: Sollten wir unsere Firmen nicht derart an Gesundheit, Stabilität und Sinn anbinden, dass alle prosperieren: dass also das Wachstum des Geschäfts das Wohl aller steigert - und das Wohlergehen der Mitarbeiter* wiederum die Umsätze treibt? Das könnte zumindest eine erste Basis für Resilienz sein.
Falls wir das wollen, müssen wir unsere ökonomischen Entscheidungsregeln ändern. Das funktioniert betriebswirtschaftlich aber nicht über Gut-Sprech, abstrakte Philosophien und Positivpsychologie, sondern aller unternehmerischer Erfahrung nach über eine Weiterqualifizierung von KPI’s, veränderte Bewertungskriterien für Führung und Kommunikationsmuster. Einer der Hot Spots: die Umstellung der Ausrichtung der Firmen von Prosperität auf Survival. Unternehmensstrategisch bisher ein No Go: »Wir sind gekommen um zu wachsen, nicht bloß um zu bleiben!«
In einer Störfallwirtschaft sind diese Glaubenssätze aus dem 19. Jahrhundert Irrsinn - was ihre Beliebtheitswerte nicht schmälert. Praktizierte Reslienz bedeutet einen eklatanten Bruch im Wachstumsparadigma. Achtung: Nicht mit dem Wachstumsparadigma, sondern im! Das heißt, wir kalibrieren »wachsen« neu und reichern die Kriterien deutlich an (wenn nicht-resiliente Lieferketten bei jedem nächsten Störfall die Existenz gefährden, sollte das Unternehmen über anderes nachdenken als über Wachstum). Dazu muss man: messen, bewerten, nachsteuern. Kennen und können wir. Dazu hat die aktuell wahrnehmbare Resilienzdebatte bisher kaum etwas beizutragen.
Um einen alten Haudegen der »Revolution« zu zitieren: Die Wahrheit ist konkret. Resilienz ist kein Weltbild, sondern ein Job to be done.
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