Wie soll eine Managerin wissen, wann ein fundamentaler Wandel erforderlich ist?

Wenn Organisationen lernen sollen, müssen Führungskräfte eine präzise Wahrnehmung haben. 

Lernen beginnt mit Wahrnehmung.

Unsere perzeptive Abgestumpftheit ist jedoch derart fortgeschritten, dass wir bei Störereignissen wie einer Pandemie als Führungskraft in Team oder Bereich teilweise paralysiert sind. Wir bekommen gar nicht mit, was in der Gruppe los ist. Eine solche Führungsperson kalibriert ihre Umwelt an BWL, nicht an Menschen. Natürlich, Sie haben Ihr Business im Griff. Aber haben Sie auch eine Ausbildung genossen, die uns Menschenbedürfnisse realisieren lässt? Die wenigsten haben das. Die meisten können bloß gut rechnen. (U.a. deswegen existiert der Schlachtruf »Betriebswirtschaftsleere«.)

Mal genauer: Die Erklärungsmuster für diese Unfähigkeit

  1. Beliebt in Medien und Öffentlichkeit: Manager sind dumm. Warum haben Großunternehmen wie Nokia oder Kodak nicht vorhergesehen, dass die Digitalisierung kommt? Wieso sind die großen Versandhäuser der Vor-Jahrtausendwende an der neuen Zeit gescheitert? Warum hat die Politik Putin Jahre lang hofiert und »machen lassen«? – Besonders überzeugend ist das nicht, aber dieser Glaubenssatz hat viele Anhänger*. Letztlich spielt er sachlich keine Rolle: Es geht gar nicht um die Intelligenz einzelner Manager, sondern um deren Fähigkeit, die Intelligenz des Unternehmens anzuzapfen.
  2. Ebenfalls beliebt: Wir könnten nur etwas erkennen, wenn eine Krise uns die Augen öffnet. Veränderung geschähe nur unter einem immensen Leidensdruck – durch einen langen, tiefen Schmerz. Von sich aus würden sich Menschen nicht verändern. – Interessantes Menschenbild: Wenn eine Krise naht, ist der Manager völlig machtlos. Es muss erst Schmerz her...
  3. Wir nehmen nur wahr, was wir schon kennen. Das würde bedeuten, dass alte Unternehmen grundsätzlich im Vorteil gegenüber den Jüngeren wären, zumindest, wenn flexibles Handeln geboten ist (größerer Erfahrungsschatz). Siehe (1): Es passiert aber ständig, dass alte Unternehmen die Zeichen der Zeit übersehen. Wie Statistiken belegen, sind sie genauso anfällig für Krisen wie neuere Unternehmen.
  4. Wir sehen nicht, was wir emotional nicht wahrhaben wollen. Vorausschauendes Handeln ist tatsächlich emotional schwierig. Aber diese Hürde kann nicht übermächtig sein, sonst würden sich Unternehmen niemals ändern. Und was machen diejenigen Firmen anders, die sich in Weltklasse-Dimensionen anpassen und wandeln? Sie setzen auf Menschen und ihre Wahrnehmung, nicht auf »das« Unternehmen. Die Fähigkeit zu vorausschauendem Denken ist bei Menschen weit besser entwickelt als bei Organisationen.
  5. Und was sagt die Zukunftsforschung? Wir erkennen nur, was für unsere Zukunftsvorstellung bedeutsam ist. Wir nehmen etwas als bedeutsam nur wahr, wenn es sich auf bedeutungsvolle Weise in ein Erscheinungsbild einfügt, das wir uns von einer vorweggenommenen Zukunft gemacht haben. Eine Kompetenz des menschlichen Gehirns: Es entwirft in jedem Augenblick Zeitpfade in eine mögliche Zukunft (Überlebensinstinkt, mitlaufende Früherkennung von Gefahr). Es speichert sie und wir besuchen sie, wenn etwas Neues passiert. Heißt: Wir kalibrieren die neue Erfahrung an dem gespeicherten Zeitpfad. Je gesünder das Gehirn, desto mehr alternative Zeitpfade entwickelt es. Zukunftserinnerungen liefern uns einen unbewussten Leitfaden, welche Informationen gerade relevant sind.

Fazit

Wenn Unternehmen sich einen solchen Leitfaden, ein Zukunftsbild ihres Tuns, erarbeiten, verfügen sie über Präferenzwerte. Und sind in Krisen nicht orientierungslos. Resilienz kommt nicht durch exakte, treffsichere Planung, oder Hin-und-Her-Denken mit Namen »Flexibilität« oder »Ambidextrie«, sondern dadurch, dass – ganz egal, was passiert – die Organisation »ihre« Fährte längst aufgenommen und weiterverfolgen kann. Und wenn sie keine hat, wirft jede Krise sie eben aus der Spur.

Wir nehmen Signale aus der Außenwelt nur wahr, wenn es relevant ist für eine der Zukunftsoptionen, die wir in unseren Vorstellungen bereits ausgearbeitet haben. Je mehr Erinnerungen an die Zukunft wir entwickeln, desto offener und empfänglicher sind wir für frühe, schwache Signale aus der Außenwelt, die unser Zukunftsbild gefährden - weil es kognitiv bereits grob abgelegt ist. So läuft dieser Hase: Nicht Gefahren »kommen sehen«, sondern wittern, wo Unbill dräut in Bezug auf den eigenen Weg. Fehlt der imaginierte Bezug, kann ich nichts wittern; wie beim Hund. Ohne Köder keine Fährte. Als Führende interessieren uns Krisen als solche im Grunde gar nicht, sondern immer nur diejenigen Aspekte davon, die unsere Organisation und ihre Ausrichtung betreffen. Wir kalibrieren sofort zwischen »Krise« und »unsere Firma« – dafür werden Führende bezahlt. So sehen die meisten Führungskräfte das aber nicht, logisch: Denn sie haben kein Zukunftsbild und nehmen als Notnagel stattdessen das, was sich die Gesellschaft erzählt. Und das ist allgemein, breit, unspezifisch und häufig angstbesetzt. – Und unternehmerisch nicht sehr professionell.

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