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Führungsvorbild Jacinda Ardern

Führungsvorbild Jacinda Ardern

Drei Führungsmuster, mit denen die Aufmerksamkeit Ihnen gehört und Mitarbeiter nach 8 Wochen in Ihre Unit wechseln wollen

Wo aktuelle Führungsprobleme sitzen

Nicht nur, aber vor allem die jungen Generationen haben die Einstellung zu »Lebens«zeit verändert. Sie setzen sie zu »Arbeits«zeit in Beziehung und steigen aus den Performance-Rat Races aus.

Etablierte Führungskräfte, insbesondere aber hierarchische Spitzen, haben damit dreifachen Ärger.

  • Sie verstehen diesen Habitus nicht („wer was rausbekommen will, muss vorher erst mal einzahlen“).
  • Sie bekommen ein betriebliches Problem, weil wandelbare Arbeitseinstellungen für sie nicht Teil ihres Weltbildes sind. Arbeit ist Arbeit, und irgendwas anderes ist naiv oder Sabotage.
  • Sie verfügen über keine Führungsalternativen zum alten Stil: Druck und Mohrrüben vor die Nase hängen – so geht das. Zuckerbrot und Peitsche. Ist das Wetter schön, gibt’s New Work oder einen Werte-Workshop. Steigt der Stress, wird Homeoffice wieder gestrichen und die Krankmeldungsregelung geändert.

Was Sie tun können

Inspiration und emotionales Verstehen dieser Entwicklung kommen praktisch nur von Anders-Leadern. Von Beispielen und Vorbildern, die sich anders verhalten als wir, rätselhafterweise. Was sind das für Rätsel? Werte-Rätsel. [Für Eilige direkt zum Learning]

  • Viele Gesellschaften basieren auf kulturellen Werten, die religiös, kollektivistisch, über Jahrhunderte traditionell gewachsen oder anderweitig für diese Gruppe ethisch verpflichtend sind (so wie unsere Werte für uns).
    So ist z.B. in kollektivistischen Kulturen die Gruppe wichtiger als der Einzelne. Oder die Dorfgemeinschaft und deren Zusammenhalt in einer unwirtlichen Umgebung wichtiger als das Individuum. Freiheit finden alle gut – aber unter anderen geographischen und kulturellen Bedingungen steht sie entweder weiter unten im Werte-Ranking oder, was meistens hinzukommt, bedeutet etwas anderes als bei uns.
  • Analoges gilt für Fairness und Gleichheit. Steht die Gruppe im Vordergrund, sind individuelle Maßstäbe für das, was als fair und gerecht gilt, in Bezug zu setzen zur Gesamtheit. In China etwa beträgt dieser Maßstabsbezug 1,4 Milliarden Menschen.
  • Einige Gesellschaften befinden sich in einem Dauerkriegszustand, der sich in eine Art Normalität verwandelt hat (die niemand wollte und will). Frieden ist ein hehrer Wert, derzeit für diese aber nicht erreichbar. Und in kriegerischen Situationen zählt dann anderes. Einem Volk im Krieg die hohe Bedeutung von Frieden zu erklären, ist wenig hilfreich. »Frieden« ist bei ihnen etwas Kleines, Bescheidenes, Kostbares zwischendurch. U.a.m.


Wenn Sie damit anfangen, sich für Werte und Identität zu interessieren, kommen Sie auf eine andere Stufe von Resonanz und Beziehung - von Führung. Ein interessantes Vorbild dafür ist Jacinda Ardern, die Ex-Premierministerin von Neuseeland. 

Jacinda


2017 kam Ardern in Neuseeland eher unverhofft an die Macht. Die junge Ardern versprach einen Wahlkampf von „schonungsloser Positivität“, der Erfolg hatte. Im Februar 2023 trat sie freiwillig zurück, sie könne ihrem Auftrag aus Gründen fehlender Kraft und Energie nicht mehr gerecht werden.

15. März 2019: Attentat in zwei Moscheen in der neuseeländischen Stadt Christchurch. Ein australischer Rassist erschießt 51 Muslime beim Beten – ein Blutbad von historischem Ausmaß für das sonst friedliche Land. Zum ersten Mal wird Jacinda Ardern wirklich der Weltöffentlichkeit bekannt, als Frau im Hidschab.

Statt mit harten Worten scharfes Vorgehen zu markieren, geht sie mit muslimischem Tuch auf dem Kopf zum Tatort und umarmt die Angehörigen der Opfer. Muslime seien nicht einfach eine andere Bevölkerungsgruppe, die in Neuseeland lebt, macht sie klar: „Sie sind wir.“ Ihre Trauerreden sind Botschaften der Versöhnung.

Ardern hat ein paar Überzeugungen, die unserem Wertekosmos fremd sind. 

Drei dieser Überzeugungen können unsere westliche Führungssituation bereichern, weil sie inzwischen den westlichen Zeitgeist treffen. Sie nehmen das vorweg, was wir spätestens seit Corona dringend bräuchten.


1. Die Identität achten

Ohne klare Identität der Gruppe und ihre aufmerksame, strategische Führung funktioniert kein Gruppenzweck. 

Der Westen merkt das gerade. Wir haben seit Jahren eine intensive Identitätsdebatte, bis hin zu neuen Gruppenbildungen (»die Identitären« usw.). Führen können wir diesen »Trend« bisher in keiner Weise.

Wir als Gruppe sind das stärkste Instrument für das Überleben von Krisen, so die Überzeugung von Ardern. Wir brauchen die Gruppe, die Bindung, ein Zusammenstehen. Der Rest sind Peanuts. Wenn die Gruppe »geeicht« ist auf das, was alle wollen, übersteht sie (fast) alles.

Vorbild-Leader wissen das und können es führen. Der ehemalige US-Präsident Barack Obama stimmte 2015 bei einer Trauerfeier nach einem Massaker an neun Afroamerikanern in einer Kirche „Amazing Grace“ an. Er zielte direkt auf den kulturellen Kern der betroffenen Gruppe, fern jeder – in solcher Situation notorisch unpassenden - »Rede«.

Jacinda Ardern führte das Land nach dem rassistischen Doppelanschlag mit 50 Toten auf zwei Moscheen in Christchurch auf einzigartige Weise durch diese Krise. In den ersten Stunden sagte sie: „Wir sind kein Ziel geworden, weil wir ein sicherer Hafen sind für die, die uns hassen. Man hat uns nicht gewählt, weil wir Rassismus billigen oder eine Enklave des Extremismus sind. Sondern, weil wir eben all dies nicht sind.“ 

Sie artikulierte die Identität der Gruppe, vergewisserte sich inmitten der anderen, wer sie sind. Wenn wir das wissen, ist „alles klar“, viel mehr braucht es nicht. Ardern erschien mit Hidschab, dem schwarzen Kopftuch der Musliminnen, nahm Frauen in den Arm. „Neuseeland ist in Trauer vereint. Wir sind in Trauer vereint.“ Die Bilder gingen um die Welt.

Solche Führung ist sehr selten, statistisch gesehen existiert sie gar nicht. Sie

  • ist weiblich konnotiert, das kann sich kein Manager leisten. Manager haben die Dinge »im Griff«, nicht im Arm.
  • konzentriert sich auf’s Soziale, die Menschen, die gerade da sind. Nicht auf Ursachen, Einflüsse, die Mörder oder etwas außerhalb. Nicht auf Zahlen. Übersetzt: Wenn die Welt zusammenbricht die Ziele höher zu stecken (oder Homeoffice zu verbieten oder Krankmeldungen unkomfortabler zu machen), ist ein pathologisches Träumchen von Westlern. Es ist »vernünftig« und daher unsterblich. Ob es überhaupt funktioniert, ist nicht das Kriterium.

Junge Menschen bei uns fangen an, solche Organisationen zu meiden, in der Breite ganzer Generationenlagen.


2. Nicht elitär sein

Ardern hat einen Abschluss in Politik und Kommunikation, wer aber nach PR-Beratern und Image-Experten forscht, sucht vergebens. Auch ihre Herkunft ist bodenständig. Sie stammt nicht aus einer Politikerdynastie, sondern aus einer Mormonenfamilie. Ihr Vater ist Polizist, ihre Mutter Assistentin bei einem Pflegungsdienstleister.

Die Welle neuer Eliten, die anti-elitär daherkommen, rollt im Westen gerade erst an. Es ist egal, wer diesen Anspruch erhebt (kann auch ein Milliardär sein). Wichtig ist, dass er erhoben wird. Diese Welle könnte die Demokratie wegschwemmen, so groß ist der Druck.

»Eliten« außerhalb von Kaderschmieden, Ivy-League, akademischen Führungsprogrammen und Zertifikate-Assessments zu rekrutieren, wäre in dieser Situation eine ziemlich gute Idee. 

Rotationen, Auswahl per Zufallsprinzip, mehr Beteiligungsformen und Mitspracherechte für Mitarbeiter, neue Führungsmuster wie Unternehmensdemokratie sind längst etablierte Führungsexperimente in zukunftsrobusten Firmen. Sie folgen Prinzip (1): Erst das Soziale klären, dann die Ziele angehen.


3. Das Soziale als fluide und uneindeutig respektieren

Beim Treffen der Staatsoberhäupter des Commonwealth im Buckingham Palace sorgte Ardern für Aufsehen: Gekleidet in ein ockerfarbenes Kleid, ergänzt durch einen traditionellen Korowai-Umhang aus Kiwifedern. 

Der Korowai symbolisiert bei den Maori Status und Macht und ist traditionell den Häuptlingen und Ältesten des Stammes vorbehalten – Männern. Das Bild von ihr ging sofort viral, da es als Zeichen eines Rollenbruchs wahrgenommen wurde: Eine schwangere weibliche Führungspersönlichkeit, die diesen prestigeträchtigen Mantel trägt und zugleich ihr Land repräsentiert.

Rollenfragen, -öffnungen und -experimente sind in modernen Gesellschaften seit Jahren ein Mega-Thema. Führungskräfte müssen nicht in Unternehmen damit herumprobieren, aber sie könnten anfangen, zumindest die Basics des modernen Zusammenlebens in der Organisation zu spiegeln. Wir belassen es mal bei dem banalen Hinweis auf Frauen: Noch nicht einmal das funktioniert. No regret, no surrender: Die Jungen wenden sich ab von solcher Unkultur.

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Beim Besuch der Queen mit traditionellem Maori-Umhang. Bild: Imago. Quelle


Schon klar: Für managementgeprägte Führungskräfte sind solche Führungsmuster uninteressant und nicht überzeugend. 

Sie verfehlen den Führungszweck, nämlich das Gedeihen des Betriebs zu sichern. Von Empathie, Diversität und anti-elitärem Habitus »kann man sich nichts kaufen«.

Doch, längst.

Die drei vorgestellten Führungsmuster sichern Ihnen in Wirtschaftsbetrieben deswegen Aufmerksamkeit und ziehen Mitarbeiter in Ihren Bereich, weil Sie damit

  • Menschen und ihre Aufmerksamkeit
  • Loyalität und Bindung
  • Mitdenken, Vorschläge, intrinsische Motivation
  • Interesse am Betrieb, auch Führungsinteresse; Mitmachen-Wollen, diesen Tribe unterstützen, weil er es wert ist

im mentalen, psychologisch-emotionalen Sinne »kaufen« können. Genau das sind die tektonischen Platten einer intrinsischen Leistungskultur - was Manager aber eben nicht interessiert (wir schrieben darüber). Für die Betriebe selbst ist dieses Mindset eine Katastrophe.

Ausblick - und was Sie davon haben

Ob wir in den nächsten Jahrzehnten den etablierten westlichen Führungsirrsinn überwinden werden, ist offen. Das Prinzip „Erst das Leben, Überleben, die Menschen - dann irgendwas anderes, ein Handlungszweck, ein Ziel« ist banal. Jedes Kind versteht das. 

Unsere Führungseliten wollen es nicht verstehen, werden aber von Multikrise (»wachsen allein reicht nicht mehr«), Survival-Zwängen und seltsamen neuen Menschen mit seltsamen neuen Gebräuchen immer unsanfter dorthin geschubst.

Es ist diese Situation (die noch über Jahre anhalten wird), die Führungskräften, die sich darauf einlassen, was gerade passiert, einen nachhaltigen Wettbewerbsvorsprung verschafft – schon jetzt, gut sichtbar. 

Deutsche Vorzeigeunternehmen, die mit den alten Mustern brechen, haben weder Kräftemangel noch Bindungsprobleme. Sie haben jedoch das Privileg, sich mit den Hauptproblemen eines jeden Betriebs beschäftigen zu können: mit dem Markt und den Kunden (daher kommt der Wettbewerbsvorsprung), nicht mit den Kollateralschäden verkorkster, aus der Zeit gefallener Werte.

Führung der Gruppenidentität heißt, Denken und Bewerten zu führen, nicht KPI's. Genau das sichert das Überleben Ihres Betriebs. (Denn Rechnen kann inzwischen der Algorithmus, und zwar deutlich besser als Sie.)

Friederike Müller-Friemauth
Friederike Müller-Friemauth
zündet Zukunft so, dass sie »von vorn aus« steuer- und führbar wird. Und hilft so beim Überleben in der Multikrise.

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